Im Interview mit Jordan Tannahill zu seinem Roman "Das Summen"


Das Summen (GOYA) von Jordan Tannahill ist ein spekulativer, fesselnder Roman, der die feinen Grenzen zwischen Glaube, Wahn, und Verschwörung auslotet. Lesen Sie im Folgenden unser Interview mit dem Autoren:
Ihr zweiter Roman, Das Summen, ist in Kanada schnell zum Bestseller avanciert. Er handelt von einem seltsamen Phänomen. Was hat Sie dazu gebracht, darüber zu schreiben?
Vor etwa sieben Jahren bin ich auf einen Onlineartikel über ein Summen gestolpert, das nicht alle hören können. Das Phänomen gibt es auf der ganzen Welt, aber es gibt keine Erklärung oder wissenschaftliche Einordnung dazu. Ist es ein lokales Rauschen? Ein kaum erforschtes Naturphänomen? Die Theorien reichen vom fast Poetischen (Meereswellen, die gegen den Kontinentalschelf schlagen) bis hin zum Verschwörerischen (Waffen mit Schalltechnologie von feindlichen Staaten, Versuche zur Gedankenkontrolle durch die Regierung oder außerirdische Aktivitäten). Je tiefer man in diese Theorien eintaucht, desto verrückter und unheimlicher werden sie. Mich hat daran vor allem interessiert, wie dieses Summen den umstrittenen Charakter der Wahrheit in sich trägt.
Im Zentrum des Romans steht also dieses Summen, das nur manche Menschen hören können. Es führt zu einer Spaltung der Gesellschaft. Was hat Sie daran fasziniert?
Die Frage, ob ein Zusammenleben möglich ist, wenn wir in unterschiedlichen Realitäten leben.
Die Protagonistin Claire ist Lehrerin und Mutter in einer amerikanischen Vorstadt. War es Ihnen wichtig, die Geschichte aus der Sicht einer Frau zu erzählen?
So ist die Geschichte einfach in meinem Kopf entstanden – eine Lehrerin an der High School in einem Vorort hört dieses Summen, das sonst niemand hört, und es führt zu Konflikten zwischen ihr und ihrer Familie. Dann findet sie heraus, dass einer ihrer Schüler es auch hört, und von da an sind sie untrennbar miteinander verbunden. Ich habe nie hinterfragt, ob Claire ein männlicher Lehrer, ein Ehemann und Vater etc. sein sollte. Ich habe es einfach so geschrieben, wie es sich ergeben hat.
Wie viel Tannahill steckt in Das Summen? Beeinflussen Ihre eigenen Erfahrungen auch Ihr Schreiben? Was würden Sie sagen, welcher Charakter in der Geschichte Ihnen am nächsten kommt?
Ich denke, von mir persönlich steckt am meisten im Schreiben über Claires angespanntes Verhältnis zu Glaube und Religion. Wie sie an ihrer eigenen Skepsis arbeitet, was Gruppendynamiken angeht, Spiritualität und das Unerklärliche. Das kommt dem sehr nahe, wie ich selbst mit sowas umgehen würde.
Im Buch geht es auch um mehrere aktuelle Themen, zum Beispiel um die Schere zwischen den unterschiedlichen Auffassungen von Wahrheit. Hatten Sie beim Schreiben ein bestimmtes, aktuelles Thema im Kopf?
Der Einzug von Verschwörungstheorien in den Mainstream der westlichen Politik, QAnon, die Relativierung von Wahrheit, Ausgrenzung während der Pandemie, Covid und Impfgegner*innen … das waren sicher einige der aktuellen Themen, die sich auch auf mein Schreiben ausgewirkt haben.
Sie sind nicht nur Romanautor, sondern auch Bühnenautor. Gibt es Unterschiede beim Ansatz, was diese beiden Arten des Schreibens angeht? Welchen Einfluss hat Ihre Arbeit als Dramaturg auf die als Romanautor?
Mich hat schon immer interessiert, wie unterschiedliche Menschen sich ausdrücken. Wie wir verständlich machen, was wir meinen, und wie Syntax und Wortwahl viel über die zugrundeliegende Meinung aussagen können. Die fragmentierte Poetik der Alltagssprache. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Dramaturg geworden bin. Beim Schreiben von Das Summen bin ich durch die Stimmen der Charaktere in deren Welt eingetaucht, durch Claires Stimme, Kyles Stimme und die der anderen Hörenden.
In einem anderen Interview haben Sie gesagt, dass Ihre queere Politik alles durchdringt, was Sie schreiben. Inwiefern ist das bei Das Summen der Fall?
Ich denke, dass man auf gewisse Weise das Summen als etwas sehen kann, das Claires ruhiges, normatives Leben zerrüttet. Es entwickelt sich für sie ein neuer Ereignishorizont, zu dem sie sich unerklärlich hingezogen fühlt, und je näher sie ihm kommt, desto mehr verliert sie sich darin. Es ist eine wilde, triebhafte Macht. Und es ist ein Todestrieb, so wie die extremsten Vergnügen es oftmals sind. Und das ist für mich alles sehr queer.