Im Interview mit Layla AlAmmar zu ihrem Roman "Das Schweigen in mir"


Das Schweigen in mir (GOYA) von Layla AlAmmar fängt das fragmentierte Leben einer Geflüchteten in all seinen Farben ein und führt dabei deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, sich für Verständigung und ein Miteinander einzusetzen. In einem Interview stellte sich die Autorin den Fragen des GOYA Verlags:
In Ihrem Buch kollidieren Alltagsdramen und unterhaltsame Beobachtungen mit den drastischen Kriegserlebnissen aus Syrien. Das Schweigen in mir hat dabei eine ganz besondere literarische Erzählform gefunden. Wie würden Sie Ihren Schreibstil beschreiben?
Mein Ziel ist es, authentisch zu schreiben. Mich nicht an irgendeinen Rahmen anzupassen oder an Erwartungen, sondern Geschichten zu schreiben, die mir wahrhaftig erscheinen und meine Charaktere so handeln zu lassen, dass es sich natürlich anfühlt. Ich glaube, dass mein Schreibstil von vielen unterschiedlichen Autor*innen beeinflusst ist, deren Texte mich bewegen. Ob es nun Poe oder Shakespeare, Ghada al-Samman oder Ghassan Kanafani sind. Ich denke, dass alles, mit dem man sich beschäftigt, auch einen Weg in das eigene kreative Schaffen findet.
In Ihrer wissenschaftlichen Arbeit befassen Sie sich immer wieder mit der Darstellung von Frauen. Welche Rolle spielt das Thema in Ihren belletristischen Texten?
Mir geht es vor allem darum, dass Frauen die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, anstatt sich andere Erzählungen aufzwängen zu lassen. Das ist auch für die Protagonistin von Das Schweigen in mir grundlegend. Sie versucht, die Kontrolle über ihre eigene Geschichte zu erlangen, indem sie für ein Online-Magazin schreibt. Selbst da gerät sie mit ihrer Redakteurin aneinander, die versucht, ihre Texte für die Presse und die Leserschaft anders zu "verpacken".
Ihre Protagonistin wird in England mit vielen rassistischen und anti-muslimischen Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert. Was könnte Ihrer Meinung nach gegen solche Vorurteile helfen?
Ich glaube, dass miteinander zu reden und Beziehungen zu knüpfen gute Wege sind, Vorurteile abzubauen. Das Schöne an Literatur ist, dass sie einem erlaubt, Charaktere aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt und mit anderen Perspektiven als der eigenen auf eine sehr intime Weise kennenzulernen. Vielleicht teilt man ihre Meinung am Ende nicht, wenn man sie denn überhaupt leiden kann, aber durch Literatur werden sie menschlich – allein damit ist schon viel gewonnen.
Sie haben Kreatives Schreiben in Großbritannien studiert und promovieren derzeit zu Arabischer Literatur. Sehen Sie signifikante Unterschiede zwischen den beiden Literaturtraditionen, und falls ja, wie beeinflussen diese Ihr Schreiben?
Es gibt enorme Unterschiede zwischen den literarischen Traditionen Westeuropas und denen der arabischen Welt. Der Roman an sich ist importiert und der arabische Roman ist erst etwas über einhundert Jahre alt. In dieser kurzen Zeit wurden im arabischen Roman (ob nun auf Arabisch geschrieben, auf Englisch, Französisch oder in anderen Sprachen) dennoch sehr spannende neue Richtungen ausprobiert, wie ich finde. Die Romane brechen mit Konventionen und gängigen Strukturen. Wir spielen mit Perspektiven, Stimmen und stilistischen Möglichkeiten. Oft fließen Modi des mündlichen Erzählens oder poetische Aspekte in die Geschichte ein. Arabische Schriftsteller*innen neigen dazu, eine gewisse soziopolitische Dringlichkeit auszudrücken, sie wollen und müssen auf die Konflikte und Traumata reagieren, die sie umgeben.
Ich selbst schreibe auf Englisch und bin mit sehr viel westlicher Literatur aufgewachsen. Es hat definitiv Einfluss auf mein Schreiben. Auf die Art, wie ich eine Geschichte erzähle oder Literaturbezüge einbaue (zum Beispiel Edgar Allan Poe in Das Schweigen in mir). In meinem Schreiben fließen beide Traditionen auf eine Weise zusammen, die sich natürlich und authentisch anfühlt, sowohl für mich als auch hoffentlich für die Leser*innen.
Momentan sieht man überall in den Nachrichten die Frauen im Iran, die für ihre Freiheit und für Gerechtigkeit kämpfen. In Das Schweigen in mir setzt sich die Protagonistin, eine gebildete, unabhängige junge Frau, mit dem Islam und dessen Wahrnehmung in Europa auseinander. Wie sehen Sie die Proteste im Iran?
Ich solidarisiere mich mit allen Frauen auf der Welt, die für ihr Recht kämpfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Insbesondere Iranerinnen stehen in der Tradition, die Proteste in ihrem Land anzuführen, und die Tatsache, dass Schülerinnen zu den aktivsten und mutigsten Protestierenden gehören, ist wirklich bewundernswert.
Wie sind Sie ursprünglich zum Schreiben gekommen? Gibt es Bücher, die Sie inspiriert haben?
Ich denke, mein Schreiben entspringt einer Liebe zum Lesen; seit ich denken kann, verschlinge ich Bücher. Ich lese alles mögliche – Fiction, Non-Fiction, Romane, Lyrik und Theaterstücke, auf Englisch und Arabisch. Deshalb war es selbstverständlich, dass ich mich selbst auch früh dem Schreiben widmete. Ich glaube, es hat mit kurzen Gedichten angefangen und mit Geschichten, als ich etwa zehn Jahre alt war. Für mich war es ein privates Hobby, bis ich meine Texte mit Anfang Zwanzig erstmals anderen Menschen gezeigt habe. Bald darauf begann ich, das Schreiben ernster zu verfolgen, und habe meinen Master in Kreativem Schreiben an der University of Edinburgh gemacht. Zu der Zeit wurden auch meine ersten Kurzgeschichten veröffentlicht; ich fing an, bei Wettbewerben mitzumachen und an einem Roman zu arbeiten. Mein erster ganzer Roman erschien dann 2019, The Pact We Made, gefolgt von Das Schweigen in mir zwei Jahre später.
Viele Schriftsteller*innen inspirieren mich, darunter Hilary Mantel, Ghada al-Samman, Han Kang, Kamila Shamsie, Adania Shibli, David Mitchell und Mohammed Hanif. Jhumpa Lahiris Namesake – Zwei Welten, eine Reise war eine große Inspiration, und ich erinnere noch, dass der Roman mich sehr darin bestärkt hat, selbst Autorin zu werden.